15. November 2022

SAP-Geschäftspartner und der Mythos der verbesserten Datenhaltung

Von der obligatorischen Geschäftspartner-Einführung in S/4HANA erhofften sich die SAP-Anwender vor allem eins: die vereinfachte Stammdatenhaltung. Doch wer sich mit dem Konzept des Business Partners beschäftigt hat, stellt schnell fest, dass das Ziel nicht wirklich erreicht wurde.

Mit S/4HANA gewann der SAP-Geschäftspartner erheblich an Bedeutung. Grund dafür ist die mittlerweile allseits bekannte obligatorische Anforderung: ohne Geschäftspartner kein S/4HANA. Vor allem die redundante Datenhaltung, welche durch das alte Konzept von Debitoren und Kreditoren entstand, sollte damit ausgemerzt werden. Wer sich näher damit beschäftigt, stellt schnell fest, dass dieses Ziel nicht wirklich erreicht wurde. Getrennte Datensätze zu Kreditoren und Debitoren finden in S/4HANA technisch weiterhin Verwendung und werden anstatt des Geschäftspartners in den logistischen Prozessen eingesetzt. Jedoch wartet der Geschäftspartner mit dem großen Vorteil auf, mehrere Adressen gleichzeitig halten und diese auch noch zeitlich begrenzen zu können.

Bei mehreren Adressen noch nicht zu Ende gedacht

Gerade in Vertriebs- und Einkaufsprozessen, wo abweichende Warenempfänger- oder Bestelladressen oft zum Tragen kommen, war die Erwartung groß: endlich keine eigenen Stammsätze mehr für diese Art von Adressen anlegen. Insbesondere dann nicht, wenn es sich nicht um eine eigenständige legale Entität handelt.

Doch sind die beschriebenen Vorteile praktisch nutzlos, wenn das in logistischen Prozessen verwendete Objekt „Debitor“ oder „Kreditor“ weiterhin im System benötigt wird. Denn auch in S/4HANA gilt weiterhin, dass pro Debitor und Kreditor nur eine Adresse gespeichert werden kann. Kommt eine abweichende Adresse ins Spiel, die zur selben legalen Entität gehört, so ist ein eigener Geschäftspartner mit passender Rolle anzulegen. Die Datenhaltung wird leider nicht reduziert. Nicht wenige zukünftige S/4HANA User sind ernüchtert, wenn sie das hören.

Doch man muss auch verstehen, dass mit der Transformation zu S/4HANA auch auf SAP-Seite noch lange nicht Schluss ist. Neuerungen, angepasst für das neue Datenmodell, kommen nach und nach dazu. Was lange währt, wird endlich gut.

Business Partner - Business Function inaktiv

Ein Geschäftspartner bildet eine legale Entität ab. Diese Entität kann durch mehrere Adressen vertreten sein. Unser Beispiel Kunde gibt an, je eine eigene Adresse für den Warenempfang und den Rechnungsempfang zu berücksichtigen. Somit sind für diesen Kunden insgesamt drei Adressen bekannt. Da Debitoren weiterhin nur eine Adresse halten können, muss pro Adresse ein eigener Geschäftspartner angelegt werden. Diese Geschäftspartner können durch angepasstes Customizing je eine eindeutige Rolle erhalten, um ihren Anteil in der Geschäftsbeziehung abzubilden. Weiterhin verwendete Partnerfunktion „Auftraggeber“ (AG), „Warenempfänger“ (WE), „Rechnungsempfänger“ (RE) und „Regulierer“ (RG) werden in Geschäftspartner A entsprechend gepflegt. Für WE wird Debitor B, für RE Debitor C hinterlegt. Bei der Beleganlage werden die Adressen aus den jeweiligen Debitorenstämmen entnommen.

Geschäftspartner-Adressen in Vertriebsbelegen – was die Funktionalität bringt und wer sie tatsächlich nutzen kann

Seit dem S/4-Release 2021 kann nun optional das Verwenden von Geschäftspartneradressen in Vertriebsbelegen aktiviert werden. Mit diesem Schritt kommt die SAP ihrer eigenen Aussage zur reduzierten Datenredundanz etwas näher.

Mit der aktivierten Erweiterung und etwas Customizing ist es dann möglich, bei der Anlage von SD-Belegen die korrekt gepflegten Adressen dem zugehörigen Geschäftspartner zu entnehmen. Zu jeder abweichenden Adresse muss somit nur noch ein Geschäftspartner und ein Debitor existieren. Hinzukommende Adressen werden, korrekt klassifiziert, im Geschäftspartner hinterlegt. Lediglich die Hauptadresse landet im Debitor. Das System weist während der Beleganlage auf weitere Adressen hin. Der User kann diese dann nach Wunsch für die jeweilige Partnerfunktion auswählen.

Business Partner - Business Function aktiv

Ein Geschäftspartner bildet eine legale Entität ab. Diese Entität kann durch mehrere Adressen vertreten sein. Unser Beispiel Kunde gibt an, je eine eigene Adresse für den Warenempfang und den Rechnungsempfang zu berücksichtigen. Somit sind für diesen Kunden insgesamt drei Adressen bekannt. Der Geschäftspartner wird mit allen drei Adressen gepflegt, denen jeweils ihr Nutzen im Prozess zugeordnet wird (Hauptadresse, Lieferadresse, Rechnungsadresse). Bei der Beleganlage werden die Adressen nicht mehr aus dem Debitorenstamm entnommen, sondern aus dem Geschäftspartner. Dies sorgt für transparente Abbildung legaler Entitäten und verhindert redundante Datenanlage.

Aber Vorsicht: Die dazugehörenden Business Functions, die dafür sorgen, dass Business-Partner-Adressen bei der Anlage von Vertriebsbelegen abgefragt werden, sind irreversibel. Die Aktivierung, das zusätzliche Customizing und ein entsprechender Funktions- und Integrationstest sollten daher nur auf einer Sandbox geschehen.

                                                   

Doch lohnt es sich bereits für eine große Anzahl von Kunden auf diese Funktionalität zu bauen? Was sind die Tücken und Hürden, um überhaupt auf diesen Stand zu kommen? Per Knopfdruck ist der Wechsel nicht möglich. Neben der Aktivierung der Business Functions und Einstellung zusätzlichen Customizings ist natürlich auch die Aufbereitung der Stammdaten unumgänglich. Die verteilten Adressen müssen einem Geschäftspartner zugewiesen werden. Dies erfordert ein nicht zu unterschätzendes Maß an manueller Arbeit der stammdatenverantwortlichen Abteilungen. Ob Sie nun erst auf S/4HANA wechseln oder bereits damit arbeiten, hat bezogen auf diese Arbeiten fast keinen Einfluss. Allerdings lohnt sich eine genaue Überlegung, ob diese Funktionalität als Vorprojekt im Rahmen der Umstellung auf Business Partner aktiviert werden sollte.

Weiterhin ist zu beachten, dass die Funktionalität noch eine Liste an Einschränkungen mit sich bringt. Gerade bei der Integration von weiteren Systemen, die den Geschäftspartner benötigen, ist Vorsicht geboten und eine genaue Prüfung auf Machbarkeit erforderlich.

Einkauf bleibt vorerst außen vor

Zu guter Letzt ist der prozessuale Ansatz nicht zu vergessen. Denn für den Einkauf gibt es diese Funktionalität noch nicht. Es müssen also unterschiedliche Ansätze zur gleichen Zeit verfolgt werden. Eine klare Linie in der Stammdatenpflege ist damit nicht möglich. Das Stammdatenteam muss mit zwei unterschiedlichen Ansätzen gleichzeitig arbeiten, was sich negativ auf die User Experience auswirkt und die Akzeptanz des Geschäftspartnerkonzepts verringert.

Für die nächsten Releases plant die SAP die Funktionalität auch für den Einkauf einzuführen. Wann dies jedoch tatsächlich geschieht, ist noch unklar. Den zukünftig startenden Greenfield-Projekten wird aber sehr empfohlen, sich diese grundsätzlich gewinnbringenden Features genauer anzusehen, sobald die Funktionalität auch für den Einkauf verfügbar ist. Gerade das Geschäftspartnerkonzept mit reduzierter Datenredundanz kann die Akzeptanz des neuen Systems fördern.

Wo die Reise hingeht

Zusammengefasst kann man also sagen, dass die Entwicklung der Funktionalitäten einen guten Weg einnimmt. Aufgrund der zuvor genannten Punkte sind die Unternehmen, welche S/4HANA im Vertrieb und Einkauf bereits einsetzen oder bis 2023 einführen wollen, besser damit bedient, noch abzuwarten oder diesen Zug als abgefahren anzusehen. Vorbereitende Tätigkeiten wären möglich, um bei der Adressermittlung auf das neue Datenmodell umzustellen. Jedoch muss der manuelle Aufwand bewusst und das Vorhaben im Unternehmen klar definiert sein. Ohne Unterstützung der Fachbereiche führt dieses Projekt nicht zum erwünschten Erfolg. Auch können vergangene Transaktionsdaten nicht einfach vergessen gemacht werden. Die verschiedenen Ansätze der Stammdatenpflege verursachen zusätzliche Belastung im Tagesgeschäft, da die Stammdaten in einer Fleißarbeit stringent gepflegt werden müssen.

Wann und ob sich der Einsatz der optionalen Funktionalität für ein Unternehmen lohnt, ist eine strategische Entscheidung. Da bei dieser Frage verschiedene Faktoren wie eigene Prozesse, der Fortschritt in der S/4HANA-Transformation und andere berücksichtigt werden müssen, sollte zur Entscheidungsfindung ein erfahrener S/4HANA-Partner hinzugezogen werden. CONSILIO unterstützt Sie dabei, die richtige Strategie und den richtigen Zeitpunkt für die Aktivierung der Geschäftspartner-Erweiterung zu finden.   

Der Geschäftspartner wartet mit dem großen Vorteil auf, mehrere Adressen gleichzeitig halten und diese auch noch zeitlich begrenzen zu können. Dies ist allerdings nicht auf Knopfdruck möglich, denn neben der Aktivierung der entsprechenden Business Functions ist die Aufbereitung der Stammdaten unumgänglich. Wann und ob sich der Einsatz der optionalen Funktionalität für ein Unternehmen lohnt, ist eine strategische Entscheidung, die Sie mit einem erfahrenen SAP-Partner wie CONSILIO treffen sollten.

Nicolas Voll, Consultant SAP SD CONSILIO GmbH Kontakt aufnehmen

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