Ein grundlegender Erfolgsfaktor für die Luftfahrtindustrie ist die Kompetenz bei stark schwankenden Marktbedarfen Beschaffungs- und Produktionspläne sowie Kapazitätsangebote optimal aufeinander abzustimmen. Dazu sind Planungs- und Simulationsfunktionalitäten erforderlich, welche eine zentrale Koordination von Einkaufs-, Fertigungs- und Vertriebsprozessen unterstützen. In diesem Zusammenhang wurde bei der MTU Aero Engines GmbH eine integrierte SAP APO- und SAP ERP-Lösung für eine optimierte Produktionsplanung erfolgreich in Betrieb genommen. Wesentliche Verbesserungspotenziale wurden u.a. über ein neues Planungstableau realisiert, welches eine koordinierte Abstimmung und Stabilisierung von Produktionsprogrammen ermöglicht. CONSILIO unterstützte das Implementierungsprojekt bei der Konzeption des Business Blueprints, der Erstellung des IT-Konzepts sowie der Programmierung der erweiterten Planungsfunktionalität.
Die MTU Aero Engines verzeichnete in den letzten Jahren zunehmende Schwankungen der Marktbedarfe für einzelne Triebwerksprodukte von über 50% innerhalb von wenigen Monaten. Gleichzeitig summieren sich die Durchlaufzeiten in der Produktion und Beschaffung auf bis zu vierundzwanzig Monate. Aufgrund begrenzter Möglichkeiten einer Prognose der Absatzmengen waren ebenfalls stark schwankende Bedarfe für Komponenten im Einkauf sowie eine stark schwankende Kapazitätsnachfrage in der Fertigung und Montage unvermeidbar.
Erschwerend kam hinzu, dass die Flexibilität bzgl. kurzfristiger Anpassung von Beschaffungsmengen wegen langfristiger Wiederbeschaffungszeiten von bis zu achtzehn Monaten eingeschränkt ist. Auch eine flexible Anpassung des Kapazitätsangebots ist kurzfristig nur begrenzt möglich, da zentrale Anlagen von verschiedenen Produktlinien genutzt werden. In der Produktionsplanung führte dies zu einem gegenseitigen zyklischen Aufschaukeln, da Anpassungen des Einkaufs die Auslastungssituation in der Fertigung und Montage implizit beeinflussten. Umkehrt veränderte die Adaption des Kapazitätsangebots, zum Beispiel durch zusätzliche bzw. weniger Schichten, die Bedarfstermine für beschaffte Komponenten.
Aufgrund dieser Ausgangssituation entstand im Unternehmen der Wunsch nach einer „beruhigten Fertigung“ mit geglätteten und machbaren Produktionsprogrammen sowie fixierten Planungshorizonten. Damit wurde zusätzliche Planungsfunktionalität für einen Planungshorizont von bis zu sechsunddreißig Monaten erforderlich, mit der Marktbedarfe, Beschaffungsmengen und Kapazitäten optimal koordiniert werden können. Folglich konnte ein Verbesserungspotenzial bzgl. folgender Unternehmensziele identifiziert werden:
Da sich diese Unternehmensziele im Allgemeinen teilweise gegenläufig verhalten, z.B. minimale Bestände und hohe Termintreue, konnte eine Verbesserung einzelner Zielkriterien, ohne eine gleichzeitige Beeinträchtigung anderer Zielkriterien in Kauf zu nehmen, nur durch den Einsatz erweiterter Planungsfunktionalität innerhalb der vorhandenen SAP-Systemlandschaft und durch harmonisierte Produktionsplanungs- und -steuerungsprozesse erreicht werden.
Das Lösungskonzept basiert auf dem Stand der bereits seit mehreren Jahren produktiven SAP-Landschaft mit ERP- und APO-Systemen sowie integriertem PP/DS-Optimierer. Die vorhandenen SAP-Systeme unterstützen die Planungsprozesse u.a. durch Funktionalitäten zur automatischen, werksübergreifenden Materialbedarfsplanung und Terminierung von Plan- und Fertigungsaufträgen auf Basis von Kundenbedarfen, Material- und Kapazitätsverfügbarkeiten. Die Terminierung berücksichtigt dabei Lohnbearbeitungs-, Streckenabwicklungs- und Umlagerungsprozesse. Im Beschaffungsprozess wird eine bedarfsgerechte Terminierung von Lieferplanabrufen und Bestellanforderungen geplant. Darüber hinaus werden bei einzelnen Triebwerksprodukten Komponenten aus einer Menge alternativer Stücklistenpositionen automatisch gewählt, um die Termintreue sicherzustellen.
Des Weiteren werden Planungsfunktionen zur Ermittlung des kritischen Pfads von verspäteten Kundenaufträgen betrieben. Dabei wird aus einer Vielzahl von Dispositionsstufen und Komponenten, der Materialbedarf ermittelt, welcher für die Verspätung maßgeblich verantwortlich ist. Zusätzlich wird der für eine pünktliche Lieferung notwendige Bedarfstermin berechnet und angezeigt, damit Disponenten und Einkäufer zielgerichtete Maßnahmen zur Erhöhung der Liefertermintreue ergreifen können.
Die Produktionsplanung wurde durch einen Freigabeprozess für ein Produktionsprogramms mit ca. 240 Bauteilen der Montage erweitert, welche regelmäßige Kunden- sowie hohe Kapazitätsbedarfe aufweisen. Dies führt zu einer weitgehenden Entkopplung der Planung von Schwankungen der Marktbedarfe. D.h. die Veränderung von Marktbedarfen ausgewählter Produkte hat nun keine unmittelbaren Auswirkungen mehr auf den Produktionsund Beschaffungsplan sowie die Kapazitätsauslastung.
Die Reaktion auf Marktschwankungen erfolgt nun koordiniert, indem zunächst die Änderungen simuliert, analysiert und anschließend über das Produktionsprogramm geglättet werden. Vor der Freigabe der Bedarfe des Produktionsprogramms wird die Verfügbarkeit der notwendigen Materialien und Kapazitäten in einer Simulationsversion geprüft. In Abstimmungsrunden werden die Beschaffungsmengen und der Produktionsplan auf Basis der Simulationsergebnisse verabschiedet. Im Anschluss werden auf Basis des freigegeben Produktionsprogramms und des vorhandenen Kapazitätsangebots mit dem PP/ DS-Optimierer Planaufträge termingerecht eingeplant. Durch die nachfolgende Umsetzung der Planaufträge in Fertigungsaufträge übernimmt die Fertigungssteuerung die Verantwortung für die Durchführung. Die Rückmeldung von abgeschlossenen Arbeitsvorgängen löst wiederum automatisch eine Neuterminierung der nachfolgenden Arbeitsvorgänge aus, um mögliche Verspätungen bzw. frühere Fertigstellungstermine zeitnah transparent zu machen.
Als Planungswerkzeug wurde eine neue Transaktion für ein interaktives Planungstableau entwickelt und den Disponenten, Produktionsplanern und Vertriebsmitarbeitern zur Verfügung gestellt. Im Tableau werden die Bedarfsmengen des Produktionsprogramms festgelegt. Die Auswirkung auf die Kapazitätsauslastung, Starttermine von Fertigungsaufträgen und Termintreue werden simuliert und den Planern im Wochen- und Monatsraster angezeigt.
Das Planungstableau umfasst drei Sichten zur Planung der Bedarfe des Produktionsprogramms, der Ressourcenauslastung und der zu startenden Fertigungsmengen:
Die SAP-Systeme werden mit einer leistungsstarken Serverlandschaft betrieben, da das Mengengerüst der Stamm- und Bewegungsdaten eine hohe Planungskomplexität im täglichen Planungs- und Simulationslauf erzeugt:
Die Produktionssteuerung wird durch eine automatisierte Neuterminierung von rückständigen sowie rückgemeldeten Fertigungsaufträgen unterstützt. Basis für die Terminierung sind mit der Fertigung vereinbarte Durchlaufzeiten für Sequenzen von Arbeitsvorgängen. Die Einhaltung der vereinbarten Durchlaufzeiten wird über Monitoringfunktionen regelmäßig ausgewertet, mit dem Ziel die darin enthaltenen Pufferzeiten schrittweise zu reduzieren.
Zur bedarfsgerechten Kapazitätsplanung werden Auslastungsverläufe über einen Zeitraum von fünf Jahren im SAP APO und SAP ERP berechnet und im SAP BW aufgeschlüsselt nach Triebwerksprogrammen, Produkten, Kostenstellen und Organisationseinheiten aufbereitet. Damit kann zum einen über die Anpassung der Schichtpläne eine kurz- bis mittelfristige Glättung der Kapazitätsauslastung erreicht werden. Zum anderen können langfristig notwendige (De-)Investitionen in Fertigungskapazitäten ermittelt und abgesichert werden.