Die Bereiche Entwicklung und Fertigung sind im klassischen ECC durch einen Graben getrennt, der nur mit diversen Tools, Fremdsystemen oder zusätzlichen Schnittstellen überwunden werden kann. Die Folge sind eine erhöhte Komplexität der Systemlandschaft, die mit einer gesteigerten Fehleranfälligkeit der Prozesse einhergeht. Mit S/4HANA hat sich SAP dieser Problematik gestellt und ab der Version 1709 mit Production Engineering & Operations (PEO) eine Lösung in das System integriert, die allein mit Bordmitteln diesen Graben überwindet.
Wie bereits erwähnt, gibt es im ECC keine native Schnittstelle für die Datenübergabe von 3D-Modellen aus CAD- oder PLM-Systemen nach SAP PP. Viele Anwender hantierten daher bislang mit Listen und Zeichnungen, die sie manuell ins ERP übertragen müssen. Unter S/4HANA hat SAP die neue TDMI-Schnittstelle (Team Data Management Interface) eingeführt, die mit gängigen CAD- und PLM-Systemen etwa von Siemens, Solidworks, Windchill oder Teamcenter direkt kommuniziert. Dadurch ist es möglich, Engineering Stücklisten mit 3D-Modellen und zusätzlich mit PMI-Daten (Produkt Manufacturing Information) wie Toleranzangaben oder Schweißpunkte anzureichern und ohne Verluste in das ERP zu übertragen.
Ein Standard-Prozess in PEO beginnt damit, dass aus dem PLM-System eine geänderte oder neue Stückliste für ein Produkt übergeben wird. PEO wandelt dann beispielsweise eine EBOM per Drag-and-Drop in eine MBOM um. Das Modul kann dabei sowohl mit Konstruktionsstücklisten (EBOM), als auch mit allen Arten von Fertigungsstücklisten (MBOM) agieren.
Mit dem „Visual Enterprise Manufacturing Planner“ (VEMP) bietet PEO außerdem ein neues Werkzeug für das MBOM-Management an, das die Übergabe der Konstruktions- an die Fertigungsstruktur mit Hilfe eines interaktiven 3D-Modells ermöglicht.
Für die Verwaltung von Änderungen ist PEO die Funktion Change Record zugeordnet, auf deren Basis eine Impact-Analyse (Wirkungsanalyse) durchgeführt werden kann. Speziell die App „Impact-Analysis“ schließt eine Lücke, die bisher in vielen SAP-Projekten identifiziert wurde. Sie unterstützt so die Fertigung bei der schnellen und effizienten Bestimmung aller Fertigungsobjekte, die potenziell von einer Änderung betroffen sind – etwa Arbeitspläne, Stücklisten, Fertigungsaufträge, oder Bestellungen. Dadurch stellt sie das zentrale Tool zur Analyse, Planung und Verwaltung der Änderungen dar. Ein verknüpftes, integriertes QM-Modul ermöglicht außerdem eine fertigungsbegleitende Prüfung. Mehr Details zum Thema liefert der Blog-Beitrag: Änderungen nachhaltig dokumentieren mit S/4HANA Change Record.
Ein Highlight, dass sich überwiegend in MES-Softwarelösungen findet, ist die Nutzung von Vorgangsaktivitäten. Damit stellen Fertigungsplaner einzelne Produktionsvorgänge der Arbeitspläne in multiplen Aktivitäten dar, um den Detaillierungsgrad wesentlich zu erhöhen. Dabei haben sie, beispielsweise im Vergleich zu den bekannten Untervorgängen aus dem ERP, volle Funktionalität. Alle Aspekte eines Arbeitsablaufs wie Komponentenzuordnung, Arbeitsanweisungen, Prüfmerkmale, Fertigungshilfsmittel, Dokumente, Abnahmen, Qualifikationen und Maßnahmenbearbeiter lassen sich so Vorgangsaktivitäten zuordnen.
Die Vermeidung von Datensilos und die Reduktion von Systemkomplexität zeichnen integrierte Anwendungen aus. Seit der Version 1709 ist PEO fester Bestandteil von S/4HANA und lässt sich über das Customizing unter dem Punkt „Fertigungstechnik und Fertigungsprozesse“ aktivieren. Die Nutzung ist jedoch trotz der tiefen Integration nicht kostenlos. SAP verlangt dafür Lizenzgebühren.
Anders verhält es sich bei der 3D-Integration. Sie ist nicht wie PEO Teil des Funktionsumfangs von S/4HANA. Um sie zu nutzen, müssen Anwender das ebenfalls kostenpflichtige Werkzeug Visual Enterprise Manufacturing Planner (VEMP) implementieren.
Anwender gestalten die Zusammenarbeit zwischen Entwicklung und Fertigung sowie den Datenaustausch zwischen beiden Bereichen mit PEO erheblich effizienter. Vor allem wenn ihr Portfolio komplexe Produkte umfasst, deren Design oder Zusammensetzung sich etwa aufgrund gesetzlicher Vorgaben ständig ändert. Hinzu kommt, dass PEO im Gegensatz zum klassischen PP eine erheblich höhere Auflösung des Produktionsprozesses ermöglicht, bei der sich die einzelnen Schritte mit Vorgangsaktivitäten einschließlich detaillierter Arbeitsanweisungen für die Produktionsmitarbeiter verknüpfen lassen. Eine hohe Flexibilität bezüglich technischer Änderungen stellen die Apps Change Record und Change Impact Analyses sicher – selbst wenn der Produktionsprozess bereits angelaufen ist, da dadurch auch eine umfassende Analyse der Auswirkungen von Änderungen darstellbar ist. Erweiterte Funktionen zur Aufzeichnung von Daten für serialisierte Teile und Chargen stellen zudem die Rückverfolgbarkeit der Produkte und ein detailliertes Produktionsaktionsprotokoll sicher, das unter anderem eine Ursachenanalyse unterstützt.